Je Wetzsteinbrief empfehlen wir ein Taschenbuch vor.

Piper Verlag, 18 Euro

Das vorgeschlagene Taschenbuch Ein wenig Leben ist ein weiteres Buch, das von Freundschaft erzählt. Vier Männer lernen sich im Studium kennen. Sie finden hier eine Freundschaft, die sie das ganze Leben begleiten wird. Und gemeinsam leben sie in den Jahren nach dem Studium den amerikanischen Traum des Erfolgs. Auch Jud, Waisenkind und, im Laufe des Buches, erfolgreicher Staranwalt. Er, seine Geschichte und seine Sprachlosigkeit prägen diesen Roman. Er ist wie ein schwarzes Loch, das alles aufsaugt, nichts abgibt und die Geschichte antreibt.
Jud findet in diesem Kreis von Freunden all das, was er nicht kennt: Freundschaft und Liebe. Aber er kann die Geister seiner Vergangenheit nicht bannen. Er steht dieser Erfahrung von Liebe stumm gegenüber.
Seine Freunde erfahren nichts von dem unsäglichen Leid, das ihn zerstört hat, das ihn immer wieder überfällt, ihn nicht loslässt. Wir Lesende lernen es kennen, erfahren in einzelnen Flashbacks, welches Schicksal ihn zerstört hat. Wir leiden mit ihm, zweifeln an der Schönheit des Lebens und vergießen seitenlang Tränen um dieses Schicksal. Die Protagonisten können das Leid nur ahnen, und als Jud bereit ist zu erzählen, endet die Geschichte.
Dieses schwarze Loch Jud lässt nicht nur die verschiedenen Personen in der Geschichte sich um sich drehen, sondern zieht auch uns Lesende hinein. Jud und seine Geschichte ziehen an, fesselnd, zwingen zum Weiterlesen, trotz der Dunkelheit. Nach diesem Buch sind sie vielleicht ausgelaugt und müde – lesen Sie es dennoch. Wenn nicht, dann fehlt Ihnen etwas in ihrem Leseleben. [BS]

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Kampa Verlag, 13 Euro

Urlaubszeit – eine Mutter reist mit ihren Kindern in den 1920ern nach Frankreich, um die Orte des Weltkrieges kennenzulernen. Doch der Urlaub verläuft nicht so, wie er sollte. Die Mutter kommt ins Krankenhaus, und die Kinder bleiben im Hotel zurück. Umgeben von den Hausangestellten, der Besitzerin und Eliot („Eliot est un vrai mystère“, sagt Paul).
Die Geschichte wird von Cecil erzählt. Mit ihr tauchen wir ein in einen Sommer voller grün-goldener Tage, in eine Welt, die flirrt und so süß ist wie die Mirabellen im Garten. Die fünf Kinder sind auf sich selbst gestellt und lernen eine neue Welt kennen; die Welt der Erwachsenendramen. Eine Welt, in der es zu viele Frauen, zu wenig Geld, so viele unausgesprochene Erfahrungen und so viel Schweigen gibt.
Margaret Rumer Goddon (1907-1998) erzählt diese Geschichte faszinierend und beschreibt die Kinder unverwechselbar. Mit scharfsinnigen Augen lassen diese uns Anteil an ihrem Leben nehmen. Mit ihnen wachsen wir, atmen ihre Luft, sehen die Farben und das Licht, erfahren den Sommer, die Geheimnisse jenes Hotels mit dem Mirabellengarten, genießen das gute Essen und erleben wunderbare Abenteuer in einer alten Stadt an der Marne. Selten habe ich eine Geschichte gelesen so voller Details, die einen umfangen, hineinziehen in ein Leben voller Zukunft. [BS]

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Josephine Tey: Wie ein Hauch im Wind (Bestellen)

Kampa Verlag, 23 Euro

Mit Wie ein Hauch im Wind ist im Kampa-Verlag der vierte Band der Kriminalgeschichten der schottischen Autorin Josephine Tey (1896 – 1952) erschienen. Diese Neuerscheinung nutzen wir, um Ihnen alle lieferbaren Titel der Schriftstellerin vorzustellen:

Als Taschenbuch sind Alibi für einen König und Nur der Mond war Zeuge lieferbar. Während in Alibi für einen König Inspektor Alan Grant einen historischen Fall aus dem Krankenhausbett heraus löst, fällt Nur der Mond war Zeuge aus dem Rahmen, da es in diesem Roman keinen eigentlichen Kriminalfall gibt. Vielmehr geht es darum zu beweisen, dass etwas nicht geschehen ist. Meisterlich gelingt es der Autorin, große Spannung aufzubauen.

Die beiden zuletzt erschienenen Bücher sind Der letzte Zug nach Schottland

und Wie ein Hauch im Wind. In beiden Büchern, die es in gebundener Ausgabe gibt, ermittelt wieder Alan Grant. Im ersten befindet er sich auf einer Erholungsreise. Kurz bevor er aus dem Zug steigt, bekommt er eine Leiche zu Gesicht, was ihn den ganzen Urlaub hinweg nicht mehr loslässt. In Wie ein Hauch im Wind führt uns die Autorin in das Landleben der englischen Stars. Ein Amerikaner taucht in dieser Runde auf, wirbelt nahezu alles durcheinander und ist plötzlich tot – aber die Leiche fehlt. Wie ist das möglich? Auch hier gilt: Spannung bis zur letzten Seite. [BS]

Mein Lieblingsbuch (Dagmar Faller) des vergangenen Jahres ist Vernichten von Michel Houellebecq, eine Mischung aus einem spannendem Politroman und der Familien- und Liebesgeschichte um den Protagonisten Paul Raison. Wir begleiten Paul ein Jahr während der französischen Präsidentschaftswahlen 2027. Er ist engster Berater und Freund des amtierenden Wirtschaftsministers Bruno Juge, der kurzzeitig als Premierminister vorgesehen wird – bis zu einer Verfassungsänderung, die das Amt des Premierministers abschaffen und ein präsidiales Regierungssystem einführen soll. Dies ist der politische Erzählstrang, in dem es um die Vernichtung der Demokratie, des modernen Lebens geht, und der der privaten Geschichte Pauls einen Rahmen gibt.

Paul lebt in einer scheinbar zerrütteten Ehe mit Prudence. Als Pauls Vater einen Schlaganfall erleidet, kümmern sich er und seine beiden Geschwister um den pflegebedürftigen Vater in dessen Landhaus im Beaujolais. Durch dieses Ereignis kommt es wieder zu einer Annäherung zwischen Paul und Prudence. Houellebecq lässt seine Figuren sich einander zuwenden und Halt in ihren Beziehungen finden. Dies beschreibt er meisterlich in einer sachlichen und fast nüchternen Sprache, die unglaublich berührt. In meinen Augen ein zutiefst versöhnlicher Roman, vielleicht der letzte Houellebecq, ein Meisterwerk, dessen Lektüre ich Ihnen wärmstens ans Herz legen mag. [Dagmar Faller]

Roman DuMontVerlag, 17 Euro (Taschenbuch)

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oder 28 Euro (gebunden)

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Im Wetzsteinbrief Mai 2023 stellte Susanne Bader das Kinderbuch von Fran Lebowitz vor. Nun empfehlen wir die 2022 in deutscher Sprache erschienene Textsammlung, die aus zwei älteren Büchern von Lebowitz zusammengestellt wurde. Es sind Texte, die das Leben in New York, das Leben der New Yorker im Blick haben – verfasst in jener humorvollen und bissigen Sprache, für die Fran Lebwowitz bekannt und berüchtigt ist. In diesen Texten hinterfragt, seziert und analysiert sie all das, was den New Yorkern lieb und heilig ist, stellt Gewohnheiten in Frage, fordert ein Nach-Denken über das Alltägliche und ist damit aktueller denn je. Dies gelingt ihr ohne zu moralisieren, einfach nur, indem sie einen Zeigefinger in die Wunden legt, die weh tun.

Was geschieht, wenn Sie dieses Buch lesen? Wenn Sie dunklen Humor mögen, kommen Sie ganz auf Ihre Kosten. Es könnte geschehen, dass Sie beim Lesen Listen erstellen und erkennen, dass Linguine mit Muschelsoße, die „krönende Errungenschaft der Menschheit ist“.

Wenn die Texte in diesem Buch Sie nicht zum Lachen verführen sollten, lesen Sie es dennoch bitte bis zum Schluss, schütteln vielleicht entrüstet den Kopf und nehmen ein Buch von Susan Sontag zur Hand. Auch sie ist New York, New Yorker Literatur. Mit anderem Humor. [Björn Siller]

Rowohlt Verlag, 14 Euro

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Taschenbuchempfehlung im Februar 2023

Ab Februar 2023 empfehlen wir in jedem Wetzsteinbrief zum Abschluss ein Taschenbuch. Hier die Neuausgabe einer schon im Jahr 2013 in deutscher Sprache erschienenen Familienbiografie von Jessica Mitford.

Sechs Töchter gab es in der Familie Mitford. Deborah und Pamela waren konventionell und eher unauffällig, Unity und Diana glühende Verehrerinnen von Hitler, Nancy war Romanautorin und Dauergeliebte, und Jessica, die Autorin des Buches, eine „Linke“ und Kämpferin auf Seiten der Republikaner im spanischen Bürgerkrieg.

Diese Lebensgeschichten, gekonnt gewürzt mit britischem Humor, münden in ein wunderbares Buch, das in keinem Bücherregal und auf keiner Leseliste fehlen sollte. Viel Vergnügen!

Berenberg Verlag, 20 Euro

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Die Taschenbuch-Empfehlung im Monat März 2023 ist ein Buch von Alba de Céspedes. 2021 als Hardcover erschienen, hat es kaum jemand wahrgenommen. Nun hat der Insel-Verlag es glücklicherweise als Taschenbuch erneut herausgegeben.

Mit Das verbotene Notizbuch gelang de Céspedes ihr literarischer Durchbruch. Der Titel bezieht sich auf die Aufzeichnungen der Protagonistin Valeria Cossati. Von einem plötzlichen Impuls gepackt, kauft Valeria ein Notizbuch und beginnt zu schreiben: über ihr Leben, ihre Lieben, über sich selbst und ihre Wünsche. Für sie, die die ihr auferlegten Rollen akzeptierte, wird das Schreiben zu einem Akt der Selbsterkenntnis, zu einem Weg, sich mit ihren eigenen Augen und nicht mit denen anderer zu sehen. Das Schreiben, das zur Reflexion zwingt, zerstört bei Valeria Welten, bringt sie aus der Fassung. Sie, die zunächst unscheinbar, farblos und langweilig erschien, bekommt allmählich Konturen und Profil.

Die Autorin zeigt schonungslos die Lebenswirklichkeit der Frau. Damit hat sie Lesende ihrer Zeit angesprochen. Sie steht darin in der Tradition großer anderer Autor:innen. Das verbotene Notizbuch ist ein Klassiker der feministischen Literatur, der noch heute gilt. Es ist genauso Pflichtlektüre wie Woolfs Ein Zimmer für sich allein oder manche Bücher von Simone de Beauvoir.

Insel Verlag, 12 Euro

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Unsere Taschenbuchempfehlung im April 2023

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Das im Juni 2023 empfohlene Taschenbuch gibt es leider nicht mehr als Taschenbuch. Zum Glück aber weiterhin als Buch im Schuber im Mare-Verlag:

Im Wetzstein habe ich (Björn Siller) vor vielen Jahren Mercè Rodoredas Roman Auf der Plaça del Diamant gekauft. Auch, weil auf dem Cover Roger Willemsen über dieses Buch geschwärmt hatte. Reingefunden habe ich aber nie wirklich. Daher hat es lange – viel zu lange – gedauert, bis ich Rodoredas Roman Der Garten über dem Meer zur Hand nahm – und darin versank. Nachdem ich die letzte Seite gelesen hatte, fing ich noch einmal an, blätterte zurück, las seitenlang noch einmal, einfach so. Denn der Roman bleibt im Raum stehen, klingt nach. Ich dachte: und jetzt?

Vordergründig geht es um das Leben der Reichen, in einer Zeit, in der scheinbar alles möglich war. Es geht um Liebe, es geht um Kunst, Pferde, den Garten, Autos und die Dekadenz des Lebens. Davon wird erzählt, aber nur als stofflicher Träger für die wirklichen Geschichten, als Träger für Zwischentöne, Schwingungen, für das Atmosphärische. Und gelingt es einem, diese zu erspüren, so tauchen Details auf, die sich nicht auf Anhieb zeigen. Dann lassen sich jene Geschichten entdecken, die von Rodoreda gerade nicht erzählt werden, die aber diesen Roman so besonders machen.

Der Garten über dem Meer ist ein Roman für den Sommer oder genauer: für eine Zeit, in der Träume und das Fliegen auf den Schwingen der Fantasie möglich sind.

Das Buch gibt es nur noch in einer gebundenen Ausgabe im Schuber in der gewohnt wertigen Aufmachung im mareverlag. [BS]

mareverlag 28 Euro

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