Die Bücher des Monats sind unsere besonderen Bücher aus dem jeweiligen Wetzsteinbrief des Monats.

Verblüffend, mit welch profundem Wissen, welcher Sorgfalt und auch Eleganz Solnit zu den unterschiedlichsten Themen schreiben kann.

Dieses neue Buch der bekannten amerikanischen Essayistin ist keine Biografie George Orwells, sondern „besteht aus Streifzügen mit immer demselben Ausgangspunkt: der Geste des Rosenpflanzens, ausgeführt von einem Schriftsteller.“ Ein hoch gebildetes, unterhaltsam geschriebenes Werk über einen Autor, der sowohl rebellische und revolutionäre Seiten hatte, dem jedoch viel an Tradition und Stabilität und auch an seinen Gärten lag. Man lernt Orwell und sein Werk noch einmal ganz neu und anders kennen: Er richtete einen Garten ein und ein Leben.

Rowohlt Verlag, 24 Euro

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Dazu empfehle ich Orwells Klassiker, die sich in unserer Gegenwart leider als zeitlos gültig erweisen:

George Orwell, Farm der Tiere

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Diogenes Verlag, 11 Euro

und

George Orwell, 1984

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Neu übersetzt von Gisbert Haefs. Manesse Verlag, 22 Euro

und auch

George Orwell, Reise durch Ruinen

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Reportagen aus Deutschland und Österreich 1945

C. H. Beck Verlag, 16 Euro

Antworten auf philosophische Fragen von Kindern.

Das Schöne an diesem Buch ist, dass es sich nicht leicht einordnen lässt. Ist es für Kinder, für Erwachsene, für beide? Ist es philosophisch, lustig, ernst, gar belehrend? Eines ist es nicht: zynisch. Tomi Ungerer stellt sich mit einer Natürlichkeit, mit einer ernsthaften Leichtigkeit, die sich nie besserwisserisch gibt, den Fragen der Kinder. Diese drehen sich um Angst, um Denken und Wissen, um Familie, Freundschaft, Gesellschaft und Moral. Sie beschäftigen sich mit der Liebe, der Religion, mit dem Tod. Ungerer antwortet mit vielen Anekdoten aus seinem Leben, da er durch die neugierigen, wissbegierigen Kinder in seine eigene Kindheit zurückversetzt wird. Bei seinen Antworten stellt er „– meist über den Umweg des Humors, der das wesentlichste Mittel zum Überleben ist – die Grundsätze des Respekts und des Teilens in den Vordergrund. Und vor allem: die Freiheit des Denkens.“ „Ich nehme mir die Freiheit, selbst zu denken … Mein Hirn steht mit beiden Beinen auf dem Boden, und manchmal nimmt es auch die Beine in die Hand.“ Das Buch regt zum Weiterdenken an. Denn: „Mit einer Antwort wird man eine Frage nicht unbedingt los.“ Ungerer war ein großer Dichter, ein wunderbarer Zeichner und Illustrator. Er war frech, manches Mal obszön und nicht jugendfrei und – er besaß eine bewundernswerte Herzensbildung. Er war ein Mensch. [Susanne Bader]

Diogenes Verlag, 22 Euro

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Eine persönliche Geschichte.

Homelands. A personal history of Europe, so lautet der weitaus treffendere englische Originaltitel. A personal history indeed. Wer außer Timothy Garton Ash, Professor für Europastudien in Oxford, kann sagen, die Geschichte Europas im letzten halben Jahrhundert überall dort selbst erlebt zu haben, wo sie geschah? Wer von uns lebte 1980 in Ost-Berlin? Saß am 10. November 1989 im „Tränenpalast“? Sprach mit den Kämpfern aller Volksgruppen in den Jugoslawien-Kriegen der 90er? Den europäischen Spitzenpolitiker*innen bis in die Finanzkrise und die zerbrechliche Gegenwart der EU?

Ash zeichnet in klaren Worten die großen, gegenläufigen, historischen, politischen Bewegungen Europas und lässt die einzelnen Menschen zu Wort kommen. Er reflektiert seine Rolle als teilhabender Historiker und als Mensch seiner Zeit. Sein Buch ist brillante historische Literatur und autobiographischer Bildungsroman; „A moving love letter to Europe“, wie Lea Ypi sagt, und eine anhaltende Mahnung, nichts für gegeben und sicher zu nehmen, denn: „History laughs“.

„Human motives are always mixed. (…) In the end, what matters is what we do.“ (S. 73 in der Original-Ausgabe)

Besprochen von Susanne Bader

Hanser Verlag, 34 Euro

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Stadt der Zeitenwenden. Berenberg Verlag, 22 Euro

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Dieses Buch aus dem mareVerlag, das wir in diesem Wetzsteinbrief vorstellen, empfehlen wir, weil es voller lesenswerter Geschichten und wunderbarer Illustrationen ist.
Für alle, die mehr wissen wollen: Macías stellt darin 34 Leuchttürme aus allen Ecken dieser Welt vor. Leuchttürme, die noch heute ihr Licht aussenden und Leuchttürme, die Vergangenheit sind. Bei allen jedoch lesen wir jene Geschichten, die den Charme der Welt der Leuchttürme ausmachen und uns zum Träumen bringen. Durch die Illustrationen erfahren wir zusätzlich alles Wichtige, um diese andere Welt zu verstehen: Karten, Längen- und Breitengrade, Feuerhöhe und Kennung der Türme.
Und damit ist es ein wunderbares Buch zur abendlichen Lektüre an unseren Freiburger Bächle! Das Buch in der Hand, die Füße im Wasser, ein Gläschen Wein. Dann ist der Alltag verschwunden. Sie sind mitten in einem wunderbaren Kurzurlaub.
Wer Lust auf mehr Leuchttürme bekommt, dem sei ein Klassiker ans Herz gelegt, der auch im Buch empfohlen wird, neu im Kampa Verlag erschienen: Virginia Woolf: Die Fahrt zum Leuchtturm

mareVerlag, 36 Euro

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Was für ein Buch, dieser Roman unserer Mütter, als der er im Untertitel bezeichnet wird! Gün Tank ist Autorin, Moderatorin, Kuratorin und lebt in Berlin.

Es sind Gastarbeiterinnen in der Bundesrepublik der 70er Jahre, mit denen die junge Nour aus der Türkei in einem Wohnheim in der Oberpfalz zusammenlebt und in einer dortigen Fabrik arbeitet. Die Frauen stammen aus Spanien, Italien, Griechenland, Jugoslawien, Marokko, Tunesien und eben aus der Türkei. Von ihnen erzählt die Autorin, von den Arbeiterinnen, die so viel für unser Land bewirkt und erreicht haben und so wenig in dessen Geschichte vorkommen. Sprache, Bildung, gerechter Lohn sind die Forderungen der jungen Frauen an die Arbeitgeber und die Gewerkschaften. Mühselig, nur ganz allmählich, immer wieder von Misserfolgen zurückgeworfen, können sie diese letztendlich durchsetzen und sind damit richtungsweisend für alle späteren Kämpfe weiblicher Arbeitnehmerinnen. Gün Tanks Roman erzählt von vier Generationen einer großen türkischen Familie. Er ist unterhaltsam, spannend, traurig, lustig, lehrreich. Ähnlich wie Abdulrazak Gurnah öffnet Gün Tank mir eine Tür in eine neue, andere Welt, zeichnet genau und feinsinnig deren Sprache, Sitten und Gebräuche der türkischen Gesellschaft. „Unsere Geschichten sind nicht auf Papier. Sie formen sich von Mund zu Mund. Ihr müsst sie weitererzählen, aber achtet darauf, zu wem ihr sprecht, nicht alle Ohren können sie hören, nicht alle Augen verstehen die Geschichten.“ So Onkel Brahim zu seinen Nichten und Neffen aus Nours Familie. Es ist an uns, zu hören, es ist an uns, zu verstehen. Eintauchen, versinken kann man in die Sprache von Gün Tank. Sie klingt, sie schwingt. Mal ist sie lyrisch, mal ist sie nüchtern. Wundervoll treffende Ausdrücke und höchst anschauliche Beschreibungen findet die Autorin. Mich hat sie ungemein damit beeindruckt, gar bezaubert. Ich habe viel gelernt und wurde reich beschenkt. [SB]

S. Fischer Verlag, 22 Euro

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Dieses Buch erzählt von einer kleinen Flamme, die man in die Hand bekommt und vor dem Wind zu schützen hat. Es ist ein zarter Hoffnungsschimmer, dass er doch gelingen kann: der Frieden im Heiligen Land!

Igal Avidan hat in Folge der Unruhen des Jahres 2021 sich aufgemacht, in Israel Menschen zu treffen und mit ihnen zu sprechen, wie Frieden, wie eine israelische Zukunft mit Juden und Arabern/Palästinensern aussehen könnte. Daraus entstand ein Buch, ein Text von Menschen, die getragen von Hoffnung, erschöpft von Rückschlägen sind und sich dennoch einsetzten für ein Israel, in dem Juden und Araber miteinander leben können. Wir erfahren, wie tragfähig (noch) die israelische Demokratie ist. Wir erfahren auch von vielen Momenten, in denen die Radikalen immer wieder gewinnen. Aber wir erfahren ganz besonders von all jenen, die sich dagegenstellen: still, helfend und Hoffnung bietend.

Der Text weiß noch nichts von dem Terror, der im vergangenen Oktober geschehen ist. Aber stecken darin vielleicht nicht trotzdem die Antworten auf diesen Terror? Angesichts der Gräuel der Hamas, angesichts der Spirale der Gewalt mag es utopisch scheinen, aber als Christ, als Jude, als Muslim darf man den Glauben an die Veränderung zum Besseren nicht verlieren. Daher: Sie ist möglich, das zeigt dieses Buch. Und es zeigt, dass wir alle Verantwortung zu übernehmen haben. [BS]

Igal Avidan: ‚ . . . und es wurde Licht! Jüdisch-arabisches Zusammenleben in Israel. Berenberg Verlag, 18 Euro

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