In diesem 2006 zum ersten Mal erschienenen, jetzt erneut aufgelegten, schmalen Band erinnert sich die 1935 in einem Städtchen im Harz geborene, wunderbare Sarah Kirsch an ihre Kindheit. Ihre Gedanken kreisen um die Einschulung, 1941, als der Krieg bereits zwei Jahre wütete, aber noch weit weg schien, bis hin zum Bauarbeiteraufstand in der DDR 1953. Mit hellwachen Sinnen bewegt sich das Mädchen Sarah in einer abwechselnd idyllisch, immer wieder auch bedrohlich erscheinenden Welt. Lange nicht mehr habe ich mich beim Lesen so gut wiedergefunden in meiner eigenen Kindheit, eine Generation später. Die hin und wieder liebenswert altmodisch wirkende Sprache tut das ihrige, um sich selbst in frühere Zeiten des eigenen Lebens zurückzuversetzen. Dennoch ist dieses kleine Buch erfreulich nüchtern und klar in den Schilderungen der sehr unterschiedlichen Eindrücke und Einschätzungen, seien sie politisch, gesellschaftlich, menschlich. Sarah Kirsch beschönigt nicht, glättet nicht, sondern schildert prägnant den Übergang aus einer Zeit, die von einem vernichtenden Krieg geprägt war in eine sozialistische Gesellschaft. Diese hatte sich zwar längst noch nicht gefestigt, war aber in ihren unangenehmen, beängstigenden Ausprägungen bereits deutlich zu spüren. Sarah Kirsch hatte es immer weniger mit dem Vaterland als mit der Muttersprache. Ein Glücksfall für die Literatur. Ein Geschenk für die Leser*innen. [SB]
Steidl Verlag, 18 Euro