Die Bücher des Monats sind unsere besonderen Bücher aus dem jeweiligen Wetzsteinbrief des Monats.

Henry Preston Standish stürzt in den Pazifik – am frühen Morgen, von einem Schiff auf dem Weg von Honolulu nach Panama. Standish ist so sehr Gentleman, das Ideal amerikanischer Ehrbarkeit, dass er wegen der Peinlichkeit dieses Sturzes um Hilfe lediglich flüstert, nicht ruft. Man fällt einfach nicht ins Wasser!

Während Standish sich im Meer nach und nach von seinen Kleidungsstücken löst und damit auch von seiner Lebenshaltung, geht auf dem Dampfer das Leben ungehindert weiter. Die Passagiere sind, wie auch Standish, so gefangen in ihren eigenen Verhaltensmustern, dass es ganze zehn Stunden dauert, bis das Fehlen des Gentleman überhaupt bemerkt wird.

Alles andere zur Geschichte sollten wir hier nicht erzählen. Vieles bleibt offen, wie zum Beispiel die Frage, ob Standish gerettet wird. Doch das trägt umso mehr dazu bei, dass die vorliegende Novelle zu jenen Texten gehört, die einen nicht mehr loslassen. Mit ironischem Grundton gestaltet der Autor eine kraftvolle Erzählung, in der die wenigen Personen zu einem Abbild der amerikanischen Gesellschaft und Denkwelt der 30er Jahre werden.

Standish, eine eigentlich langweilige Figur, fällt nicht nur von Bord, sondern wortwörtlich aus seiner Welt heraus. Je weiter sich das Schiff von ihm entfernt, desto mehr entfernt er sich selbst von seiner geistigen Lebensenge. Der kleine Mann im endlosen Meer entdeckt die Welt noch einmal neu und erlebt Erkenntnisse und Gefühlszustände, die ihm bisher fremd waren. Doch Vorsicht, Herbert Clyde Lewis hat diesen Text meisterhaft komponiert. Wir werden nachdenklich beim Lesen, wir reflektieren unser eigenes Leben.

Übersetzt von Klaus Bonn. Mit einem Nachwort von Jochen Schimmang.

Mare Verlag, 28 Euro

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Was für ein freches, bitterböses, komisches Werk! Die junge Amerikanerin Maud, Hauptfigur in Tergits Roman, ist mondän, gutgläubig und naiv. Sie kennt kaum etwas von der Welt außerhalb der illustren New Yorker Gesellschaft, in der sie sich bisher bewegte. Mit ihrem Onkel begleitet sie eine britisch-amerikanische Militärmission nach Europa, nach Berlin. Ziel ist es, die Deutschen demokratische Prinzipien zu lehren. Es ist eine bunte, abenteuerliche Gruppe, die in Tergits kleinem Roman zusammenfindet. Das ermöglicht der Autorin, ihrem Erstaunen und Entsetzen über ein völlig zerstörtes Land, in das sie selbst 1949 zum ersten Mal aus dem Exil in England reist, Ausdruck zu verleihen. Dazu bedient sie sich quirliger Dialoge und zwischen den Sprachen Deutsch und Englisch pendelnder Gespräche. Es ist einerseits größtes Vergnügen, dies zu lesen, zeigt aber zugleich Tergits traurige Erkenntnis von einem Land, das moralisch zerrüttet, überheblich, und in weiten Teilen immer noch unbelehrbar war in jenen frühen Nachkriegsjahren. „Seit die Deutschen wieder zu essen haben, fühlen sie sich wieder obenauf“, so schrieb Tergit 1949 an einen Journalisten-Kollegen. Aber nicht nur die Deutschen, alle, Amerikaner wie Europäer, bekommen bei Tergit ihr Fett ab. Zurecht stand in der Süddeutschen Zeitung vom 25. 2. 2023, dass dieses Buch zu lesen ein Glück sei.

Schoeffling & Co. Verlag, 22 Euro

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Der leuchtend grüne Einband und der ebenso grüne Buchschnitt dieses Werkes sind ein farbenfroher Hingucker zwischen all den Büchern, die auf meinem Schreibtisch darauf warten, gelesen zu werden. Und was für ein wunderbares Buch öffnet mir hier das Tor zu einer ganz besonderen Welt! Hervorgegangen aus einem Projekt des Hauses der Kulturen der Welt blättere ich, geführt von einem Alphabet aus Pflanzenbezeichnungen, durch die Seiten, beginnend bei der Akazie und endend bei der Zypresse. Einen jüdischen Garten im eigentlichen Sinne als bestimmbare Einrichtung hat es nie gegeben. Aber die Literatur, die in diesem Buch versammelt ist, geschrieben unter vielen anderen in arabischer, deutscher, englischer, französischer, hebräischer, jiddischer, polnischer, spanischer Sprache, geschrieben von jüdischen und auch nichtjüdischen Schriftsteller:innen, diese Literatur schafft einen blühenden, duftenden Raum, in dem wir wandeln, schwelgen und uns verlieren können.

Angelegt von Itmar Gov, Hila Peleg und Eran Schaerf

Hanser Verlag, 28 Euro

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Klug, warmherzig, voller Humor, so schreibt Rachel Cusk. Dabei beobachtet sie genau und zieht aus dem menschlichen, häufig nicht nachvollziehbaren Verhalten überraschende, auch streitbare Schlüsse.

Ihre Gedanken über Unhöflichkeit, den Bau eines Hauses, über Gefühlsausbrüche beim Autofahren sind pointiert, glänzend geschrieben. Fertige Lösungen hat sie nicht zur Hand, stattdessen regt sie zum gründlichen Nachdenken an. Mit diesem Band, seinen sechs Essays bekommen wir kleine, inhaltliche und sprachliche Preziosen geschenkt.

Suhrkamp Verlag, 21 Euro

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Dieses Buch erzählt von einer kleinen Flamme, die man in die Hand bekommt und vor dem Wind zu schützen hat. Es ist ein zarter Hoffnungsschimmer, dass er doch gelingen kann: der Frieden im Heiligen Land!

Igal Avidan hat in Folge der Unruhen des Jahres 2021 sich aufgemacht, in Israel Menschen zu treffen und mit ihnen zu sprechen, wie Frieden, wie eine israelische Zukunft mit Juden und Arabern/Palästinensern aussehen könnte. Daraus entstand ein Buch, ein Text von Menschen, die getragen von Hoffnung, erschöpft von Rückschlägen sind und sich dennoch einsetzten für ein Israel, in dem Juden und Araber miteinander leben können. Wir erfahren, wie tragfähig (noch) die israelische Demokratie ist. Wir erfahren auch von vielen Momenten, in denen die Radikalen immer wieder gewinnen. Aber wir erfahren ganz besonders von all jenen, die sich dagegenstellen: still, helfend und Hoffnung bietend.

Der Text weiß noch nichts von dem Terror, der im vergangenen Oktober geschehen ist. Aber stecken darin vielleicht nicht trotzdem die Antworten auf diesen Terror? Angesichts der Gräuel der Hamas, angesichts der Spirale der Gewalt mag es utopisch scheinen, aber als Christ, als Jude, als Muslim darf man den Glauben an die Veränderung zum Besseren nicht verlieren. Daher: Sie ist möglich, das zeigt dieses Buch. Und es zeigt, dass wir alle Verantwortung zu übernehmen haben. [BS]

Igal Avidan: ‚ . . . und es wurde Licht! Jüdisch-arabisches Zusammenleben in Israel. Berenberg Verlag, 18 Euro

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