Was für ein Buch, dieser Roman unserer Mütter, als der er im Untertitel bezeichnet wird! Gün Tank ist Autorin, Moderatorin, Kuratorin und lebt in Berlin.

Es sind Gastarbeiterinnen in der Bundesrepublik der 70er Jahre, mit denen die junge Nour aus der Türkei in einem Wohnheim in der Oberpfalz zusammenlebt und in einer dortigen Fabrik arbeitet. Die Frauen stammen aus Spanien, Italien, Griechenland, Jugoslawien, Marokko, Tunesien und eben aus der Türkei. Von ihnen erzählt die Autorin, von den Arbeiterinnen, die so viel für unser Land bewirkt und erreicht haben und so wenig in dessen Geschichte vorkommen. Sprache, Bildung, gerechter Lohn sind die Forderungen der jungen Frauen an die Arbeitgeber und die Gewerkschaften. Mühselig, nur ganz allmählich, immer wieder von Misserfolgen zurückgeworfen, können sie diese letztendlich durchsetzen und sind damit richtungsweisend für alle späteren Kämpfe weiblicher Arbeitnehmerinnen. Gün Tanks Roman erzählt von vier Generationen einer großen türkischen Familie. Er ist unterhaltsam, spannend, traurig, lustig, lehrreich. Ähnlich wie Abdulrazak Gurnah öffnet Gün Tank mir eine Tür in eine neue, andere Welt, zeichnet genau und feinsinnig deren Sprache, Sitten und Gebräuche der türkischen Gesellschaft. „Unsere Geschichten sind nicht auf Papier. Sie formen sich von Mund zu Mund. Ihr müsst sie weitererzählen, aber achtet darauf, zu wem ihr sprecht, nicht alle Ohren können sie hören, nicht alle Augen verstehen die Geschichten.“ So Onkel Brahim zu seinen Nichten und Neffen aus Nours Familie. Es ist an uns, zu hören, es ist an uns, zu verstehen. Eintauchen, versinken kann man in die Sprache von Gün Tank. Sie klingt, sie schwingt. Mal ist sie lyrisch, mal ist sie nüchtern. Wundervoll treffende Ausdrücke und höchst anschauliche Beschreibungen findet die Autorin. Mich hat sie ungemein damit beeindruckt, gar bezaubert. Ich habe viel gelernt und wurde reich beschenkt. [SB]

S. Fischer Verlag, 22 Euro

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