2022 war wieder ein besonderes Jahr, ein Jahr, in dem der russische Despot seinen Krieg auf die ganze Ukraine ausdehnte. Die Folgen können wir alle nicht absehen. Den Menschen in der Ukraine widerfährt unsagbares Leid; wir werden durch diesen Krieg gefordert, unsere eigene Lebensweise zu überdenken und zu ändern – für ein hoffentlich besseres Miteinander. Wir dürfen es uns dabei nicht zu einfach machen und müssen bei uns selbst beginnen. Doch neben den ernsten, ja traurigen Phasen des zu Ende gegangenen Jahres gab es auch viel Schönes und Bereicherndes. Nicht zuletzt kehrte der Wetzstein wieder zu alter Größe zurück, wurde zu dem Ort, den wir uns für Begegnungen mit aufgeschlossenen und mit kritischen Menschen wünschen. Es ist die Liebe zur Literatur, die uns hier zusammenführt. Danken möchten wir den vielen Kunden, die uns durch die Fährnisse der Zeit begleiteten und uns dabei die Treue hielten. Zahlreiche neue, auch junge Kunden konnten wir dazu gewinnen und freuen uns darüber sehr.
Sorgfältig pflegen wir unsere Traditionen und halten sie durch Neues lebendig, präsentieren Ihnen im wieder großen Wetzstein eine hochwertige Auswahl belletristischer Bücher, wichtige Sachbücher, Lyrik, Judaika, Reihen, Graphic Novels – erschienen in kleinen und großen Verlagen –, Neuübersetzungen von Klassikern im Hanser und im Manesse Verlag und sehr wichtig: Kinderbücher.
Im Januar 2023 bieten wir folgende Veranstaltungen an und freuen uns über regen Zuspruch. Bitte melden Sie sich an.
Montag, den 9. Januar 2023 um 18 Uhr: Der Wetzsteinbrief im Gespräch
Wir stellen in der Buchhandlung die Bücher des Januar-Wetzsteinbriefes vor und erzählen, warum wir diese ausgewählt haben und Ihnen empfehlen. Wir freuen uns über Ihre Teilnahme.
Freitag, den 27. Januar 2023, 19 Uhr
Lars P. Feld, Direktor des Walter Eucken Instituts Freiburg, und Christian Molitor, Geschäftsführer des Sparkassenverbands Saar, sprechen im Wetzstein über den von ihnen herausgegebenen Sammelband „Einfache Wahrheiten zählen“. Das Buch enthält wichtige Beiträge von Olaf Sievert (geboren 1933), laut FAZ dem „einflussreichsten Ökonomen“ seiner Generation. Sievert war langjähriger Vorsitzender der „Fünf Weisen“ und in dieser Funktion einer der Vorgänger von Feld. Seine Beiträge sind aufgrund ihrer Verankerung in der insbesondere in Freiburg geprägten Ordnungspolitik für viele aktuelle wirtschaftspolitische Probleme von hoher Relevanz.
Tradition im Wetzstein bleibt, dass wir im ersten Brief des neuen Jahres Ihnen Gedichtbände ans Herz legen.
Am Anfang steht wie immer das Neujahrslied von Johann Peter Hebel in
Johann Peter Hebel: Gesammelte Werke. (Bestellen)
Wallstein Verlag, 69 Euro
Neujahrslied
Mit der Freude zieht der Schmerz
traulich durch die Zeiten.
Schwere Stürme, milde Weste,
bange Sorgen, frohe Feste
wandeln sich zur Seiten.
Und wo eine Träne fällt,
blüht auch eine Rose.
Schon gemischt, noch eh wir’s bitten,
ist für Thronen und für Hütten
Schmerz und Lust im Lose.
War’s nicht so im alten Jahr?
Wird’s im neuen enden?
Sonnen wallen auf und nieder,
Wolken gehn und kommen wieder,
und kein Mensch wird’s wenden.
Gebe denn, der über uns
wägt mit rechter Waage,
jedem Sinn für seine Freuden,
jedem Mut für seine Leiden
in die neuen Tage,
jedem auf des Lebens Pfad
einen Freund zur Seite,
ein zufriedenes Gemüte
und zu stiller Herzensgüte
Hoffnung ins Geleite!
Erich Kästner: Die dreizehn Monate (Bestellen)
Atrium Verlag, 14 Euro
Aus „Der Januar“
Das Jahr ist klein und liegt noch in der Wiege.
Und ist doch hunderttausend Jahre alt.
Es träumt von Frieden. Oder träumt’s vom Kriege?
Das Jahr ist klein und liegt noch in der Wiege.
Und stirbt in einem Jahr. Und das ist bald.
Warsan Shire: Haus – Feuer – Körper. Bless the Daughter Raised by a Voice in Her Head (Bestellen)
S. Fischer Verlag, 24 Euro
Aus „Zuhause“
Ich möchte zurück nach Hause, doch Zuhause ist das Maul eines
Haifischs. Zuhause ist der Lauf eines Gewehres. Niemand verlässt
sein Zuhause, es sei denn Zuhause jagt dich an die Küste. Niemand
verlässt sein Zuhause bis Zuhause eine Stimme in deinem Ohr ist,
die sagt – geh, renn, jetzt. Ich weiß nicht, was aus mir geworden ist.
Bilhana: Gestohlene Lust (Bestellen)
Aus dem Sanskrit von Albertine Trutmann. C. H. Beck Verlag, textura. 14.95 Euro
Auch heute noch zuckt in meinem Herzen
ihr helles Lächeln,
wie es um die Lippe schwebt,
die besänftigende Rede, Gegenrede,
das Wort voll Süße
auf Flügeln der Lust.
Christian Lehnert: opus 8. Im Flechtwerk (Bestellen)
Suhrkamp Verlag, 22 Euro
Die Nacht ist vorgedrungen
Die silbrigen Hälse der Reiher /
In Kies senkt ein Stern seinen pulsenden Schein
An einem der froststillen Weiher.
Dort klärt sich ein Pfad / doch er führt noch ins Nichts.
Dort wartet ein Schatten auf formendes Licht.
Selbst Stille / das Wort ist verfälscht in der Leere /
Wo ich noch des inneren Ortes entbehre
Und falle als Rauhreif und leuchte als Stein.
Rainer Maria Rilke: Die Gedichte (Bestellen)
Insel Verlag, 20 Euro
Mondnacht
Süddeutsche Nacht, ganz breit im reifen Monde,
und mild wie aller Märchen Wiederkehr.
Vom Turme fallen viele Stunden schwer
In ihre Tiefen nieder wie ins Meer, –
und dann ein Rauschen und ein Ruf der Ronde,
und eine Weile bleibt das Schweigen leer;
und eine Geige dann (Gott weiß woher)
erwacht und sagt ganz langsam:
Eine Blonde …
Maria Stepanova: Der Körper kehrt wieder. (Bestellen)
Gedichte. Suhrkamp Verlag, 22 Euro
wo ist dein ich, warum sieht man es nicht
wieso sprechen andere leute für dich
oder du sprichst
mit den stimmen von memmen und clowns
geh doch mal aus dir raus
leg das wörterbuch weg
Sylvia Plath: Das Herz steht nicht still (Bestellen)
Suhrkamp Verlag, 25 Euro
Aus „Unerklärlich“
Gibt es keine große Liebe, nur Zärtlichkeit?
Erinnert sich das Meer
An den, der auf ihm wandelte?
Bedeutung entweicht aus den Molekülen.
Die Schornsteine der Stadt atmen, das Fenster schwitzt,
Die Kinder hüpfen in ihren Gitterbettchen.
Die Sonne blüht, sie ist eine Geranie.
Das Herz steht nicht still.
Christoph Ransmayr: Unter einem Zuckerhimmel (Bestellen)
Balladen und Gedichte. Illustriert von Anselm Kiefer. S. Fischer Verlag, 58 Euro
Unter einem Zuckerhimmel
Wir spielen
Unter einem Zuckerhimmel
Krieg,
nennen flackernde
Strohfeuer
Ewigkeit
und jede Katastrophe
einen Sieg.
Was immer auf uns niederfährt:
Wir nehmen es gelassen,
heiter
und spielen
und spielen weiter
unter einem Zuckerhimmel Krieg.
Heinrich Heine: Sämtliche Gedichte in einem Band (Bestellen)
Insel Verlag, 20 Euro
Winter
Die Kälte kann wahrlich brennen
Wie Feuer. Die Menschenkinder
Im Schneegestöber rennen
Und laufen immer geschwinder.
O, bittre Winterhärte!
Die Nasen sind erfroren,
Und die Klavierkonzerte
Zerreißen uns die Ohren.
Weit besser ist es im Summer,
Da kann ich im Walde spazieren
Allein mit meinem Kummer
Und Liebeslieder skandieren.
Thilo Krause: Was wir reden, wenn es gewittert (Bestellen)
Gedichte. Edition Lyrik Kabinett bei Hanser, 18 Euro
Aus „Alter Teich“
WIR PFLÜCKTEN HIMBEEREN, aßen sie
im Schein der Taschenlampe.
Himbeeren, sacht von den Ranken gezogen
zergingen zwischen Gaumen und Zunge.
Es war die Stunde, in der die letzten Flugzeuge das Land
verlassen.
Lichter hoch oben, dass ich ans Meer dachte, den dunklen
Graben Schlaf
zwischen den Kontinenten.
Sirka Elspaß: ich föhne mir meine wimpern (Bestellen)
Gedichte. Suhrkamp Verlag, 20 Euro
es ist einer der tage an denen die zeit stehen bleibt
aber die vögel zwitschern weiter als wäre nichts
während ich eine kerze im internet anzünde
und 164 andere auch, stand heute, samstag, 23:13
ich glaube manches kriegen die vögel gar nicht mit
oder sie halten uns an weiterzuleben
mit dem wissen
auf der rolltreppe fahren die handgriffe
immer etwas schneller als man selbst
Durs Grünbein: Äquidistanz (Bestellen)
Gedichte. Suhrkamp Verlag, 24 Euro
Schneerose
Schnee kam wieder, fragiles Konstrukt,
frisch wie der Neujahrsmorgen,
von kurzer Dauer. Kein Straßenbelag,
kein Widerspruch gegen den Teer.
Schnee fiel in Blüten herab, weißen,
tütenförmigen, nicht aus Papier.
Blüten, die wirbelnd sich öffneten,
zur Selbstbestäubung bereit.
Nur am Balkonrand hielt sie sich,
in den höheren Lagen, schwindelfrei –
Schneerose, früh Erwachende,
winterfestes Wundergewächs.
Ilma Rakusa: Kein Tag ohne (Bestellen)
Gedichte. Droschl Verlag, 23 Euro
Aus „Die Berge sind föhnig gezackt“
Aporie oder Schicksal
mal im Ernst:
eine Sache von Sekunden
rund läuft sowieso nichts
auch die Berge meiden Rundheit
Spitzen Steine steile Hänge
Gott hat ordentlich montiert
Friedrich Schiller: Sämtliche Gedichte und Balladen (Bestellen)
Insel Verlag, 20 Euro
Aus „Sprüche des Konfuzius“
Dreifach ist der Schritt der Zeit:
Zögernd kommt die Zukunft hergezogen,
Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen,
Ewig still steht die Vergangenheit…
… Nur Beharrung führt zum Ziel,
Nur die Fülle führt zur Klarheit,
Und im Abgrund wohnt die Wahrheit.
Gesundheit und Frieden wünschen wir Ihnen und uns für das Jahr 2023. Weihnachten war wieder ohne Schnee, der Jahreswechsel warm wie noch nie.
Als ich in der einbrechenden Dämmerung über den belebten Münsterplatz gehe, fühle ich mich wie in einem südlichen Land. Menschen stehen, gehen, plaudern. Wohltuende Laute umgeben mich wie ein Mantel. Dann beginnen die Glocken zu läuten, im großen, wunderbaren Geläut des wunderbaren Freiburger Münsters.
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